Wir brauchen ein neues Wort: Memoir!

Es ist schon ein Sport geworden für mich: Wenn ich in einer deutschsprachigen Zeitung die Rezension eines aus dem Englischen übersetzten „Memoirs“ lese, bin ich gespannt, wie sie das Genre benennen. Wie sie wieder herumeiern um das Wort „Memoir“, das es ja im Deutschen (noch) nicht gibt. Genauso die Verlage! Was bei uns alles als „Roman“ bezeichnet wird … das ist unfassbar! Joachim Meyerhoffs autobiographische „Romane“ sind doch Paradebeispiele für „Memoirs“. Eben literarisierte autobiographische Erzählungen mit Fokus und Erkenntnisgewinn. Aber ebenso wie das Wort „Memoir“ seltsamer Weise (noch) nicht durchdringt in unsere Medien- und Verlagswelt, so ist die Scheu und die Arroganz gegenüber dem Autobiographischen hierzulande immer noch groß. Das muss aufhören! Das ist bitte lächerlich! Und total überholt.

Testfall Maggie Nelson

Unlängst wieder dieses Such-Spiel nach dem Wort „Memoir“: Ich lese eine Rezension eines Memoirs aus Amerika (das wirklich spannend klingt, schon bestellt): Maggie Nelsons Buch „Argonauten“. Und was steht da im STANDARD?

„Nelson erzählt eine Lebens- und Liebesgeschichte. Aber nicht als Roman, sondern in knappen Absätzen und bunt durchmischt aufeinanderfolgend als Anekdoten und intimste Erlebnisse, Reflexionen über sich selbst und Kunstwerke, kritische Auseinandersetzung mit Texten von Jacques Lacan, Judith Butler oder D. W. Winnicott. So entspinnt sich ein monologischer Diskurs aus Theorie und Privatem. Eins erklärt, stützt, befragt das andere.“

Schöne Definition für „Memoir“ eigentlich. Nur der Mut zum Wort „Memoir“ fehlt noch!

Die anderen Memoirs von Maggie Nelson, die ich nun online entdeckt habe, klingen übrigens auch sensationell: „Jane: A Murder“ und „The Red Parts: Autobiography of a Trial“. Ich freue mich auf die Lektüre.

PS: Maggie Nelson, die als Essayistin einen Mega-Buch-Preis gewonnen hat, zeigt auch wie umfassend und aufregend das Genre „Essay“ ist … das bei uns auch so ein Schattendasein führt.

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